In der Gedächtniskirche ist eine neue Energie zu spüren. Eine sehr weibliche. Und dann noch im Duett. Am 1. Mai wurde Pfarrerin Dorothea Strauß feierlich in die Gemeinde eingeführt. Katharina Stifel ist bereits seit Anfang des Jahres als Pfarrerin in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirchengemeinde
im Einsatz. Genau am ersten Tag des neuen Jahres hatte die 34jährige ihren ersten Arbeitstag. „Pfarrer Martin Germer hat den Gottesdienst gehalten
und ich meine erste Predigt. Gott sei Dank ist die Kanzel so hoch, so dass man nicht mitbekommen haben dürfte, dass ich doch ganz schön aufgeregt war“, sagt sie mit einem Lächeln. Die in Neuruppin geborene promovierte Theologin sei religiös erzogen worden. Auch ihre Schulzeit in der Evangelischen Schule Neuruppin haben sie sehr geprägt. Nicht ohne Stolz erzählt sie, dass das „Evi“, wie die Evangelische Schule von Lehrern und Schülern fast zärtlich genannt wird, vor vier Jahren den Deutschen Schulpreis gewonnen hat. Ihre Dissertation über eine Erzählung, die 1945 in Ägypten gefunden und auf koptisch verfasst wurde, hat sie gerade erst am 11. Mai verteidigt. Jetzt muss sie ihre Arbeit noch zur wissenschaftlichen Publikation vorbereiten. Die Beschäftigung mit dem Thema Religion und Glaube fasziniere sie sehr. Die Zusammenarbeit und Verständigung zwischen den Religionen, zwischen Judentum, Christentum und Islam, sieht sie als wichtige Aufgabe: „Wie verschiedene Wege, die zu einem Berggipfel führen, so lehren die Religionen unterschiedliche Wege, die zu dem einen Gott führen.“ Auch die Jugendarbeit in der Kirchengemeinde läge ihr sehr am Herzen. „Ich hoffe, dass ich viele junge Leute für die Kirche begeistern kann“, sagt Katharina Stifel. Im Konfirmanden-Unterricht, den sie gemeinsam mit den Jugendlichen der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis Kirchengemeinde und der Trinitatis-Gemeinde am Karl-August-Platz durchführt, käme ihr ihr Alter zugute. „Es ist doch schön, dass ich mich mit den Konfirmanden wahrlich über Gott und die Welt, über Sneaker oder das Kartenspiel Werwolf unterhalten kann“, sagt sie.
In Momenten wie diesen ist ihre Kollegin Dorothea Strauß sicherlich dankbar, dass die beiden sich in jeder Hinsicht so gut ergänzen. „Wenn die Jugendlichen
im Herbst wieder die Kirchen-Übernachtung bei uns durchführen, bin ich froh, dass ich nicht mehr auf einer Iso-Matte auf der Empore schlafen muss“, sagt sie.
Dorotheas Strauß, die 1993 die Ökumenische AIDS-Seelsorge „Kirche-positHIV“ aufgebaut hat und noch heute leitet, ist für die Cityseelsorge am
Breitscheidplatz zuständig. Umfragen haben ergeben, dass jedes Jahr 1,3 Millionen Touristen das Gebäudeensemble der Gedächtniskirche besuchen.
Da gäbe es viel zu tun. Die aus Waldenbuch in Baden- Württemberg stammende Theologin – „das kennen Sie, da kommt die Ritter-Sport-Schokolade
her“ – ist für die kurzen abendlichen Gottesdienste verantwortlich, hat dazu noch das in der Woche stattfindende tägliche Friedensgebet um 13 Uhr
eingeführt. „Ich denke, dass solch ein Innehalten die Menschen, ob Touristen oder Berliner, in der heutigen Zeit anspricht. Wir können nicht mehr länger
sagen, das geht uns alles nichts an. Im Gegenteil, die weltweite Verunsicherung durch Krieg und Terror holt uns doch alle ein.“ Zeit der Besinnung.
500 bis 800 Kerzen werden täglich von den Besuchern in der Gedächtniskirche angezündet. Lichter des Gedenkens und der Verbundenheit, des Bittens und
Dankens. Daneben steht seit neustem ein gläserner Zettelkasten. Hier kann jeder seine persönliche Bitte auf einen Zettel schreiben. „Den nehmen wir dann in
unsere Fürbitten auf“, sagt die Ideengeberin Dorothea Strauß. Ein Drittel der Bitten sei in Fremdsprachen verfasst, einige davon kenne auch sie mit besten Willen nicht. Die Gedächtniskirche als offener Ort eines weltweiten Austausches. Sogar viele Kollegen aus anderen Ländern gäben sich zu erkennen und man käme leicht ins Gespräch. „Bei einer Andacht am Nagelkreuz der Kathedrale von Coventry in der Turmruine wollte ich um den Segen bitten“, erzählt Katharina
Stifel. Zwei ältere Damen hielten sie jedoch davon ab, sagten resolut, sie wollten erst noch ein Lied singen. Nachdem alle Anwesenden einverstanden
waren, sangen die beiden Damen aus vollem Herzen „Lobet den Herren“. Es war das Hochzeitslied, das eine der beiden genau am Hochzeitstag ihrem verstorbenen Mann widmen wollte. An einem Ort, der beide einst sehr verbunden hat.